Am 26. und 27. September 2014 findet der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie in Aachen statt. Die Vielfalt des Programms ist beeindruckend. Im entsprechenden Flyer heißt es:
“Am 26. und 27. September 2014 stehen aktuelle Forschungsergebnisse und Entwicklungen der modernen biologischen Psychiatrie im Fokus von Vorträgen und Diskussionsrunden. Ob Schizophrenie, Borderline, Suchterkrankungen oder Depression: Nicht zuletzt aufgrund des breiten Methodenspektrums an endokrinologischen, neurophysiologischen und bildgebenden Verfahren hat das Wissen über die psychosozialen und neurobiologischen Mechanismen sozialer Interaktion in den letzten Jahren stark zugenommen.”
Die Behauptung, das Wissen der biologischen Psychiatrie habe in den letzten Jahren stark zugenommen, steht in krassem Widerspruch zu meinen Recherchen, die ich in einem Eintrag in mein Lexikon der Psychiatriekritik unter dem Titel
“Grundfragen der biologischen Psychiatrie”
zusammengefasst habe.
Die Frage lautet: Wer irrt sich hier?
Hinter dem Kongress steht eine erlauchte Schar von einschlägig tätigen Gelehrten:
Wissenschaftliches Komitee
Prof. Dr. K. Bechter, Günzburg
Prof. Dr. J. Deckert, Würzburg
Prof. Dr. P. Falkai, München
Prof. Dr. J. Gallinat, Berlin
Prof. Dr. O. Gruber, Göttingen
PD Dr. A. Hasan, München
Prof. Dr. U. Hegerl, Leipzig
Prof. Dr. A. Heinz, Berlin
Prof. Dr. S. Herpertz, Heidelberg
Prof. Dr. H. Himmerich, Leipzig
Prof. Dr. J. Höppner, Rostock
Prof. Dr. G. Juckel, Bochum
Dr. B. Malchow, München
Prof. Dr. D. J. Müller, Toronto
Prof. Dr. O. Pogarell, München
Prof. Dr. M. Rothermundt, Oberhausen
Prof. Dr. D. Rujescu, Halle
Prof. Dr. Dr. F. Schneider, Aachen
Prof. Dr. T. Schulze, München
Prof. Dr. S. Teipel, Rostock
Prof. Dr. C. Winter, Dresden
Veranstalter und
wissenschaftliche Leitung
Prof. Dr. Dr. F. Schneider
Direktor der Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik
Uniklinik RWTH Aachen
Wie also kann ich mich erkühnen, hinsichtlich des wissenschaftlichen Fortschritts in der biologischen Psychiatrie grundsätzlich anderer Meinung zu sein als die Koryphäen der biologischen Psychiatrie?
Meine Kühnheit verdankt sich unter anderem den Worten eines prominenten Vertreters der biologischen Psychiatrie, Thomas Insel:
“Trotz vieler Fortschritte der Neurowissenschaft, bleiben die zugrunde liegenden Ursachen der meisten neurologischen und psychiatrischen Zustände weitgehend unbekannt – aufgrund der gewaltigen Komplexität des menschlichen Gehirns (NIMH Website).”
Thomas Insel ist Direktor des weltgrößten psychiatrischen Forschungszentrums, des NIMH. Er schreibt:
“Wir wissen in der Tat nicht, wie wir die grundlegende Sprache der Gehirntätigkeit entziffern sollen.”
(“In fact, we still do not know how to decipher the basic language of how the brain works.”)
Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, in meinem Lexikon-Artikel Fakten und Meinungen kompetenter Kenner der Materie zusammenzutragen, die meine These nicht gar so kühn erscheinen lassen, wie sie auf den ersten Blick klingt. Es kann keine Rede davon sein, dass unser Wissen über die soziale Interaktion bei Schizophrenie, Borderline, Suchterkrankungen oder Depression aufgrund des breiten Methodenspektrums an endokrinologischen, neurophysiologischen und bildgebenden Verfahren stark zugenommen hätte.
Auch dank großzügiger Forschungsförderung aus diversen Quellen ist die Menge der publizierten Studien durchaus angewachsen, fraglos, und auch die Präsentation dieses Materials in Fachzeitschriften, auf Kongressen und in den Medien kann sich sehen lassen. Allein, dies sagt nichts über die wissenschaftliche Qualität. Nebenbei, der Vollständigkeit halber: auf der letzten Seite des Programm-Flyers findet sich die Liste der Sponsoren des Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.
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